Cover
Titel
Cicero's Political Personae.


Autor(en)
Kenty, Joanna
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 274 S.
Preis
£ 75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernhard Linke, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Das Kernanliegen des vorliegenden Buches ist es, den traditionellen Einzelanalysen bzw. chronologisch aufgebauten Untersuchungen zu Reden Ciceros zeitübergreifende Analysen auf der Basis struktureller Gemeinsamkeiten entgegenzustellen. Als Ausgangspunt für die konkrete Umsetzung werden in einem einführenden Kapitel die Überlegungen aufgeworfen, dass die Reden jeweils intensiv von Aspekten der individuellen Identitätskonstruktionen Ciceros beeinflusst wurden. Neben den vorgegebenen Komponenten wie Herkunft und politische Zeitumstände haben für die Autorin auch subjektiv beeinflussbare Faktoren wie Selbstinszenierung im politischen Raum oder die jeweilige Wahl einer Reaktion auf die politische Situation eine entscheidende Bedeutung. Diese unterschiedlichen Elemente können sich zu einzelnen Rollen verdichten, die das Auftreten des Redners bestimmen. Diese Rollenvarianten sollen zeitübergreifend in der Periode von 58 bis 43 v.Chr. in den Reden rekonstruiert werden. Sie bestimmen auch den Aufbau des Buches, das sich in acht Kapiteln diesem Ansatz widmet.

Zu Beginn untersucht die Autorin Cicero in der Rolle des politischen Angreifers (S. 26–52). Hierbei konzentriert sie sich auf die Reden gegen Clodius, Piso und Antonius. Immer wieder nutze Cicero in diesem offensiven rhetorischen Kontext die Chance, seine eigene moralische Überlegenheit in Abgrenzung zu den negativen Beispielen kontrastiv zu konturieren. Deren situativ inszenierte Volksfreundlichkeit werde die substanzielle Förderung der Interessen des Volkes durch den moralisch fest verankerten Redner gegenübergestellt und damit ein kontextübergreifendes Bild von Cicero selbst entworfen. Der zweite Abschnitt widmet sich dem Redner als „Freund“ (S. 53–81). Kenty sieht die rhetorische Strategie, freundschaftliche Dienste der anderen – wie z.B. im Konflikt um das ciceronische Exil – im Nachgang durch die sich oft wiederholende positive Würdigung der Betreffenden in der Öffentlichkeit fast schon überzukompensieren. Diese Taktik unterstrich natürlich die hohen Qualitäten, die Cicero seinerseits als Freund aufwies. Diese Strategie sei aber im Verhältnis zu Caesar und Pompeius an ihre Grenzen gestoßen, da die Überbetonung der engen freundschaftlichen Banden zu beiden in Zeiten zunehmender Rivalitäten Loyalitätskonflikte des Redners öffentlich sichtbarer machte. Zudem wäre es auch immer deutlicher geworden, dass die beiden mächtigen „Dynasten“ (S. 81) kaum einer derartigen Unterstützung bedurften, Cicero durch die rhetorische Energie also eher seine eigene Autorität unterminierte. In den beiden folgenden Kapiteln werden defensive Konstellationen in den Blick genommen: Cicero als „Märtyrer“ (S. 82–102) und als „Redner ohne Autorität“ (S. 103–127). Die Rolleninszenierung des sich für den Staat Aufopfernden beleuchtet die Autorin in vergleichenden Abgrenzung zur öffentlichen Selbstdarstellung von Cato dem Jüngeren, der sie mehr Wirksamkeit in dieser Rolle attestiert. Für die späten 50ziger Jahre, insbesondere für die Verteidigung von Milo und die dominanten Jahre Caesars, konstatiert sie in Teilen eine bewusste Aufgabe des eigenen Autoritätsanspruchs, sei um die Ziele der eigenen Klienten besser rhetorisch unterstützen zu können, sei es aus einem resignativen Impuls heraus. Im Gegensatz zu diesen defensiven Rollenbildern wird in den Abschnitten fünf und sechs die Reklamation eines Führungsanspruchs in den politischen Institutionen beleuchtet: zunächst im Senat (S. 129–153) und dann als Redner vor dem Volk (S. 154–176). Wenn Cicero seinen Führungsanspruch im Senat untermauern möchte, so vermeide er Attacken auf einzelne Senatoren und versuche die Geschlossenheit durch scharfe Abgrenzung zu anderen Personen und Gruppierungen, wie den Anhängern von Catilina und Antonius, zu festigen. Gegenüber dem Volk tritt er als Führer der boni auf und verweist auf die tieferliegende Interessenswahrung der Allgemeinheit, die er – wie schon im ersten Untersuchungsabschnitt hervorgehoben – bei sich substanzieller sieht als bei den populistisch agierenden Gegnern, die er als durch und durch korrupt darstelle. Den Abschluss der Untersuchung bilden zwei Aspekte, in deren Rahmen Cicero den Anspruch, das Gemeinwohl aller fest Blick zu haben, zugunsten einer klaren Positionierung in inneren Konflikten zurückstellt: der Redner als führende Stimme einer factio (S. 177–198) und Cicero als Sprecher für einen großen Mann (S. 199–222). Als Anführer einer Gruppierung von Senatoren entwirft er nicht selten das Bild von guten und aufrechten Führungspersönlichkeiten, die sich unmäßiger Gewalt gegenübersähen und trotzdem standhaft blieben. Sehr unglücklich wird schließlich seine Rolle als öffentlicher Sprecher für einen der beiden mächtigen Männer, Pompeius oder Caesar. Hier finde Cicero nie in eine konsistente Rolle, da einerseits die widersprüchlichen Interessen der beiden kaum zu harmonisieren sind und er anderseits auch nicht zur dauerhaften Übernahme einer subalternen Position gegenüber einem von beiden bereit gewesen sei. Ein relativ kurzes Fazit beschließt das Buch (S. 223–227).

Das vorliegende Buch bietet eine gute und konsistente Einführung in die Reden Ciceros in den 50er- und 40er-Jahre. Wer eine erste Orientierung zu dieser Thematik, z.B. im Studium, sucht, findet hier eine klar aufgebaute, inhaltlich gut strukturierte und gut geschriebene Übersicht, die eine schnelle Einarbeitung ermöglicht. Dazu trägt auch ein umfangreiches Literaturverzeichnis bei, das eine gute Übersicht über die internationale Forschung gibt. Doch gerade hinsichtlich des Forschungsstandes bleiben die innovativen Impulse sehr beschränkt. Ciceros Fähigkeiten bei geradezu diffamierenden Angriffen auf seine Gegner, seine sorgsam gepflegte, wenn auch nicht wirklich erfolgreiche Selbstinszenierung als Hüter der politischen Substanz in einer gefährdeten Republik und die aus diesem Selbstbild heraus oft schwankenden Beziehung zu den politisch Mächtigen sind schon oft aufgezeigt und dargelegt worden. Die eher knappen Analysen dazu setzen nur in Einzelfällen eigene Akzente. Dass das innovative Potential des Ansatzes weitgehend ungenutzt bleibt, liegt auch daran, dass die theoretische Basis zur Bedeutung sozialer Rollen im Rahmen öffentlicher Auftritte, auf die zu Beginn des Buches verwiesen wird, sehr schmal bleibt. Die Autorin nimmt lediglich Bezug auf einen sozialpsychologischen Aufsatz von Ralph Turner aus dem Jahr 1975. Angesichts der breiten Forschung zu diesem Thema, u.a. im umfangreichen Œuvre von Irving Goffman, ist diese theoretische Abstinenz überraschend. Zudem wird auch in weiteren Verlauf des Buches auf den Ansatz kaum verwiesen, selbst im Fazit erfolgt kein bilanzierender Rückbezug, stattdessen wird ein allgemein gehaltener Ausblick auf die veränderten Bedingungen in der Kaiserzeit gegeben, der wenig Neues zu bieten hat. So lässt sich resümierend festhalten, dass der vorliegende Band eine solide Einführung darstellt, die demjenigen, der noch wenig vertraut mit der Materie ist, einen effizienten Zugriff ermöglicht. Die Forschung zu Cicero wird er nur sehr begrenzt stimulieren.

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